Ephraim Moses Lilien ist am 23. Mai 1874 zu Drohobycz in Galizien als Sohn eines armen Drechslers geboren. Nachdem er zwei Realklassen in der Schule besucht hatte, gab man ihn, da der Vater keine Mittel besaß, ihn weiter lernen zu lassen, wegen
seiner zeichnerischen Begabung zu einem Schildermaler in die Lehre. Da sich hier sein bedeutendes Talent offenbarte, ermöglichten ihm hilfsbereite Verwandte nach Krakau zu gehen und die Kunstschule zu besuchen, die er aber aus Mangel an Mitteln
bald wieder verlassen mußte, um enttäuscht in die Vaterstadt zurückzukehren und sein altes Brotgewerbe, die Schildermalerei, aufzunehmen . Hier errang der Zwanzigjährige bei einem Wettbewerb den Preis für ein Ehrenbürgerdiplom, und zieht nun stolz mit
dem Honorar in der Tasche und der Hoffnung auf eine hohe künstlerische Laufbahn im Herzen, in die Welt hinaus nach Wien. Aber wieder treibt die Not ihn zurück nach Drohobycz, bis er endlich 23-jährig zum dritten Mal und nun mit größerem Glück die
Fahrt in die westliche Welt unternimmt. Er geht nach München. Hier erlebt er zwar eine Zeit bitterster Not, aber er ringt sich durch und betritt die Bühne der Welt: er zeichnet, ganz im Banne des damals herrschenden “Jugendstils”, Vignetten, Titel, Initialen für sozialistische Zeitungen und Zeitschriften, illustriert ein Buch aus dem Vorwärts-Verlag , und in der Münchener Jugend erschienen seine ersten für ihn charakteristischen Blätter neben den Arbeiten der bekannten Illustrationen. 1899 siedelt Lilien, um bessere Entwicklungsmöglichkeiten auszunützen, nach Berlin über, wo er — die Kunst geht nach Brot — sich in den ersten Jahren ebenfalls kümmerlich durch Tagesaufträge durchschlägt, sich aber zugleich auch als Künstler durchsetzt. Er wird Mitarbeiter angesehener Zeitschriften, Mitbegründer der deutschen Plakatausstellung und tritt im Kreise der Berliner “Bohème” zu den damaligen Tagesgrößen der Reichshauptstadt in freundschaftliche Beziehung. Am bedeutsamsten für Lilien wurde von diesen
neugeknüpften Bekanntschaften jene mit Börries Freiherr von Münchhausen. Münchhausen, der preußische Referendar aus norddeutschem Adelsgeschlecht, las Lilien seine Gedichte vor, unter diesen Balladen über biblische Stoffe — und da horchte
die Seele des galizischen Juden auf. Wie ein Ruf des Schicksals klopfte diese norddeutsche Stimme an die Pforte seines jüdischen Herzens, und der Künstler erfaßte seine Mission: jüdische Kunst. Und er, der bisher nur für Tag und Zufall, sozusagen mit Hirn und Auge geschaffen, schöpfte jetzt aus der Tiefe erlebten Gefühls, aus dem Grunde des in ihm rollenden Bluts jene magischen Kräfte, die allein uns die Kraft zum wahren Kunstwerk leihen. Lilien illustrierte eine Auswahl biblischer Gedichte Münchhausens, und im Jahre 1900 erschien als das erste moderne Kunstbuch, das sich mit bewußt jüdischem Inhalt an die allgemeine Oeffentlichkeit wandte, als das erste Kunstwerk der jüdischen Renaissance, das Buch Juda in einer für jede Zeit durchaus vorbildlichen Ausstattung ( Abb. 1).
Die Begegnung mit dem nordischen Adelssproß
leitete den dem Judentum weit entführten „ Bohe¬
mien “ des Berliner Literatentums auf die Bahn
seiner eigentlichen Wesensart : zurück ins Judentum .
Lilien trat in den Kreis der damals noch ganz jungen
zionistischen Bewegung , sein Atelier wurde die Zen¬
trale der zionistischen „ Organisation “ Deutschlands
und hier wurde mit großen Plänen und kleinsten
Mitteln unter seiner Aegide der „ Jüdische Verlag “
gegründet . Der jüdische Almanach , das erste Sammel¬
werk moderner , bewußt – jüdischer Künstler und
Schriftsteller erscheint , eine Monographienreihe „ Jü¬
dische Künstler “ wird begonnen , beide aber finden ,
Sammelbl . jüd . Wissens 50 / 51 .